
Wie agiere ich in herausfordernden Situationen, ohne in Streitlust zu fallen oder unterwürfig zu werden?
Szenario: Du und dein Gegenüber sprecht über ein Thema, die Situation entwickelt sich urplötzlich in eine Richtung, die du nicht vorgesehen hast. Ein Konflikt zwischen euch wird präsent und wird dir quasi auf dem Silbertablett serviert. Du fragst dich, wie du in diese Lage geraten bist - Kommt dir diese Szenerie bekannt vor?
Befindest du dich häufiger in missverständlichen Kommunikationsprozessen, die scheinbar Hals über Kopf in einem Chaos enden? Ist das einzige Gefühl, was dich hierbei rettet, die Flucht? Reagierst du in verbalen Konflikten womöglich unterwürfig und passt dich der Meinung deiner/s Gesprächspartner*in an, aus Angst, die Situation könnte noch weiter eskalieren?
Oder neigst du bei Konfrontation zum schamlosen Gegenangriff, bei dem sich links und rechts um dich herum alles in Acht nehmen muss, bis deine ungezügelten Emotionen gänzlich freien Lauf haben?
Mithilfe der folgenden Fragen behandeln wir eine mögliche Strategie, wieder in ein kommunikatives Gleichgewicht mit dir und deiner/m Gesprächspartner*in zu kommen. Bedenke, dass bei all diesen Fragen die Beziehungsebene zwischen dir und deinem Gegenüber eine große Rolle spielt und daher von dir gedanklich mit einbezogen wird (beruflicher Kontext, privater Kontext, Freundesbeziehung, Liebesbeziehung usw.).
1. Frage an mich selbst: Höre zu. Was sagt mein Gegenüber?
Oftmals nehmen wir uns viel zu wenig Zeit dafür, dem anderen wirklich zuzuhören. „Moment mal!“, denkst du jetzt vielleicht, „Ich höre immer zu.“ Gewiss tust du das, doch manchmal gibt es noch eine weitere Ebene des aktiven Zuhörens.
Gehe in eurem Gespräch innerlich einen kleinen Schritt zurück und nimm dein Gegenüber bewusst auf allen Ebenen war. Wie ist ihre/seine Mimik? Haltet ihr Augenkontakt? Gestikuliert dein Gegenüber oder hält sie/er die Hände versteckt? Enthält die Sachebene des Gesagten womöglich weitere Informationen über den derzeitigen emotionalen Zustand meines Gegenübers?
Auch wenn es dir für den Anfang anstrengend erscheinen mag, bevor du deinem Gegenüber antwortest, sei ganz bei ihr/ihm und nimm dir einen Moment Zeit, das Gesagte wahrhaftig zu verstehen. Dies mag dein Gegenüber kurzzeitig verwirren, jedoch hilft es dir, deine und ihre/seine Gefühle sowie die Sachebene zu differenzieren. Je öfter du dies anwendest, desto leichter wird dir das authentische Zuhören fallen.
2. Frage an mich selbst: Welche Sicht habe ich von verbalen Konflikten? Wie löse ich sie in der Regel?
Um verbale Konfliktlagen wahrhaftig reflektieren zu können, ist es notwendig, dass du dir darüber bewusst wirst, welcher Kommunikationstyp du bist. Die Bewusstwerdung dessen ist vermutlich nicht angenehm für dich, doch hilft sie dir, dich besser kennenzulernen. Meist ist der Aspekt, den wir am meisten innerlich ablehnen, der, der unserem wahren Konflikttypus entspricht. Die folgenden Ausführungen mögen dogmatisch auf dich wirken und sind individualisiert wahrnehmbar, vielleicht kannst du eine Tendenz für dich erkennen.
Konfliktscheu:
Du möchtest der Situation am liebsten entfliehen, sprichst mit Bezugspersonen die Gesamtsituation in Dauerschleife durch, um dir dein Gefühl zu bestätigen, dass dieser Konflikt nicht in deiner Hand liegt und du nichts an ihm ändern kannst. Das Thema „Wer ist Schuld an diesem Konflikt?“ lässt dich innerlich nicht los. Du entziehst dich äußerlich dem Konflikt, innerlich brodelt er immer wieder auf und ist stetig präsent, bis entweder so viel Zeit vergeht, dass er an Relevanz verliert oder bis er auf anderem Wege gelöst wird. Du löst Konflikte, indem du die Beziehungsebene zwischen dir und deinem Gegenüber vor die Sachebene stellst. Wenn der Konflikt Überhand über dein Leben nimmt, entziehst du dich der Situation bewusst, entschuldigst dich wiederholt und nimmst alles auf dich oder wirfst dich unter und bejahst das Gesagte deines Gegenübers bedingungslos.
Streitlustig:
Du liebst es, dich in verbalen Auseinandersetzungen zu messen und in ihnen deine eigene Meinung darzulegen. Die Meinung deines Gegenübers ist dabei eher zweitranging. Dich treibt das innere Bedürfnis an, deine eigene Sicht darzulegen, es verschafft dir eine gewisse Befriedigung. Manchmal verwechselst du deine eigenen Gedanken und Gefühle mit der Sachebene des Gesagten deines Gegenübers. Die Beziehungsebene zu deinem Gegenüber wirkt für dich stärker als die Sachebene. Alles, was du denkst oder fühlst, lässt du tendenziell eher raus und sprichst es frei raus. Du hast das Gefühl, dass ein wenig Reibung niemandem schadet. Du fühlst dich manchmal lebendig, wenn eine verbale Kommunikation eine spannende Wendung einnimmt. Du verabscheust leere, oberflächliche Gespräche und zu viel Konzentration auf liebevolle Kommunikation, du empfindest sie oftmals als Zeitverschwendung. Ob deine Worte verletzten können, ist nicht deine Verantwortung. Du bist schnell gereizt, wenn du dich unverstanden fühlst und beginnst dann, deine Sichtweise immer wieder zu erklären. Du beginnst vermehrt Sätze mit „Ich bin so/ bei mir ist das so…“. Du hast den Eindruck, dich sehr gut zu kennen und zu spüren, was deine Bedürfnisse sind. Menschen, die Reibung entfliehen, lehnst du eher ab. In Gesprächen fühlst du dich ihnen überlegen, was in dir eine Zufriedenheit herstellt. Wenn du deine Meinung darlegst, fühlst du dich befreit von den starken Gedanken, die dich zu gewissen Thematiken beschäftigen.
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3. Frage an mich selbst: Was ist der mögliche Ursprung meiner Streitlust oder meiner Konfliktscheuheit?
Jetzt geht es für dich ans Eingemachte. Bei diesem Prozess kann dich keiner begleiten und nur du allein kannst ihn gehen.
Wie wird/ wurde in deiner Ursprungsfamilie miteinander kommuniziert? Erkennst du gewisse Verhaltensmuster beider Typen in deiner Familie wieder? Lehnst du einige Muster davon ab? Wann hast du die Gefühle, die in verbalen Konflikten hochkommen, zum ersten Mal als Kind wahrgenommen? Geh innerlich zurück in diese Situationen und sieh sie dir aus der wertfreien Beobachterrolle heraus an.
Was nimmst du wahr? Schreibe deine Erkenntnisse auf. Du begegnest dir gerade selbst, deinem wahren, unkonditionierten Kern, bevor du gelernt hast, wie verbale Konflikte zu lösen sind. Nun erfolgt ein „Umlern“- Prozess in dir selbst. Nimm dir so viel Zeit dafür, wie nur möglich und lass alle Emotionen kommen, die gesehen werden wollen. Streiche für diese Zeit die Worte „Fehler“ und „Schuld“ aus deinem Wort- und Gedankenschatz und erlaube dir, zu wachsen, mit allem, was dazu gehört.
4. Frage an mich selbst: Wie möchte ich Konflikte in Zukunft lösen?
Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich aus dem Prozess der Frage 3. Wenn du weißt, wie du verbale Konflikte in der Regel löst und wenn du Konflikt-Erfahrungen aus deiner Kindheit damit in Verbindung bringen kannst, befindest du dich mittendrin in deiner individualisierten Selbstbegegnung. Du hinterfragst nun deine Glaubenssätze aus tiefster Kindheit und transformierst sie für dich aus der Beobachterrolle um.
„Wie denke ich aktuell über Konflikte?“
„Wie bewerte ich Konflikte?“
„Wie möchte ich Konflikte in Zukunft selbstbestimmt lösen?“
Dieser Prozess erfordert dein individuelles und ureigenes Wertesystem. Hierbei gibt es kein „Richtig“ oder „Falsch“. Du allein bist gefordert, dich mit dir selbst und deinen Vorstellungen von Kommunikation auseinanderzusetzen.
Die Herausforderung, eine Balance zwischen den beiden Kommunikationstypen zu finden, ist eine Lebensaufgabe, der du dich stellen möchtest?
Vielleicht gelingt es dir bei deinem nächsten verbalen Konflikt, innerlich einen Schritt zurück zu machen und ihn aus lustvoller Position mit einer Prise Humor heraus zu betrachten. Wenn du dich immer besser kennenlernst, kann dieser Prozess viel Freude bereiten und Leichtigkeit schaffen.
Erlaube dir, menschlich und sanft mit dir zu sein und zu lernen, ebenso wie dein Gegenüber. Konflikte sind die größte Chance der individuellen Entwicklung.