
Wenn die Wut sich entlädt, bleibt nur noch die innere Leere – Teil 2
Nachdem sie im Jahr 2017 einen Platz in einer neuen Wohngruppe gefunden hatte, begann alles wieder von vorne. Am Ende des Jahres war sie insgesamt tatsächlich 30 Mal in der geschlossenen Psychiatrie und hatte nach ihrem ersten Klinikaufenthalt auch schon eine angebrochene Traumatherapie hinter sich. Dabei wurde ihr Trauma falsch rekonstruiert und daraufhin auch falsch behandelt. Es stellt sich die Frage, wie so etwas passieren kann.
"Natürlich fordert es den behandelnden Arzt sehr, mit den Erinnerungen des Patienten „richtig“ umzugehen. Bei Traumapatienten kommt es nicht selten vor, dass sie das traumatische Erlebnis ganz oder in Teilen verdrängen. Deswegen scheint es doch ratsam, nicht nur die Plausibilität der Erinnerung zu prüfen, sondern auch, woher die Erinnerung stammt. Gerade frühkindliche Erinnerungen können beispielswiese einfach mit Erzählungen Dritter einhergehen, die vom Patient als subjektiv wahr empfunden werden."*1 (s. Quellenangabe am Ende des Artikels)
Daraufhin startete sie die Therapie im Sommer 2018 erneut und konnte zumindest eins von zwei Traumata aufarbeiten, worauf sie sehr stolz ist. Ihrer Meinung nach gehen die Borderline Störung sowie die PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) beide mit einer Bindungsstörung einher. Das erklärt für sie, warum der Krankheitsverlauf „erst“ mit dem Tod ihres Vaters, einer engen Bezugsperson, aufgetreten ist und nicht schon unmittelbar nach ihrer ersten Traumatisierung.
Unabhängig davon, "dass Persönlichkeitsstörungen, wie die Borderline Störung, gewöhnlich in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter auftreten, zeichnet sich die Erkrankung auch durch instabile und intensive Beziehungen aus"*2 (s. Quellenangabe am Ende des Artikels), was Lisas Auffassung in jedem Fall unterstreichen würde.
Einen Monat später zog sie dann zurück nach Hause, da die WG sie aufgrund starker Selbstgefährdung nicht mehr aufnehmen und die Verantwortung für sie übernehmen konnte. Aktuell lebt sie dort immer noch und hat seitdem wieder mehrere Klinikaufenthalte zur Krisenintervention hinter sich, da sie zu viel Alkohol trinkt. Zudem hört sie mitunter eigene laut gewordene Gedanken und bekommt dagegen Psychopharmaka. Nichtsdestotrotz geht sie mittlerweile, nach fast 2 ½ Jahren, die sie fast ausschließlich in Kliniken verbracht hat, wieder zur Schule und ist gerade in der 8. Klasse. Nach der 10. Klasse möchte sie gerne eine Ausbildung zur Erzieherin machen, um Jugendheimerzieherin zu werden. Zwei Betreuer, eine Betreuerin aus der Wohneinrichtung und ein Betreuer vom Jugendamt, begleiten sie regelmäßig, sprechen mit ihr über aktuelle Vorkommnisse und unternehmen etwas mit ihr.
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„Im April möchte ich noch ein weiteres Mal in die Klinik. Hier werde ich das andere Trauma wahrscheinlich nicht vollständig aufarbeiten können. Zumindest möchte ich aber damit anfangen und erneut lernen, Skills richtig anzuwenden. Im Moment kann ich von mir aus nicht die Motivation dafür aufbringen, zum Beispiel Chili-Schoten zu kauen, statt mich selbst zu verletzen. Außerdem möchte ich das Verhältnis zu meiner Mutter wieder stärken“, erzählt Lisa.
Sie sagt, dass ihr die sogenannte DBT Therapie (Dialektisch Behaviorale Therapie), die oft und gerne zur Behandlung der Borderline Persönlichkeitsstörung angewendet wird, sehr gut getan hat. Noch heute wendet sie selbstständig Achtsamkeitsübungen an, um sich zu entspannen und im Hier und Jetzt zu leben, statt in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Eine einfache und klassische Art sind Atemübungen oder Traumreisen, die man sich auf YouTube oder verschiedenen Apps ansehen beziehungsweise anhören kann. Auch anderen Betroffenen kann sie dies nur ans Herz legen!
Es klingt, als hätte Lisa noch eine lange Reise vor sich. „Wenn die Wut sich entlädt, bleibt nur noch die innere Leere.“ Noch ist das so, aber das wird sich ändern. Sie ist schon dabei, ihre Beziehungen langsam aber sicher wieder zu festigen. Ich wünsche ihr, dass sie vor allem die Liebe zu sich selbst wiederfindet, um weniger impulsiv und selbstschädigend handeln zu müssen und drücke ihr die Daumen, dass sie auf ihrem Weg, der viele neue Erfahrungen mit sich bringen wird, viele reife Früchte ernten und vernaschen kann, die ihr Leben wieder versüßen!
Du möchtest mehr von dieser jungen Frau erfahren? Friederike stellt Dir gerne den Kontakt zu Lisa her.
Die Vollständigkeit und korrekte Angabe der verwendeten Quellen unterliegt der Gastautorin, www.adiuvia.de übernimmt diesbezüglich keinerlei Haftung:
*1: Stand 15.03.2019, "Falsche Erinnerungen" als Problem in der Psychotherapie: https://www.w-a-praxis.de/themen/falsche-erinnerungen/
*2: Richard J. Gerrig, Philip G. Zimbardo, Pearson, S. 573, Kapitel 14.4 Persönlichkeitsstörungen