Depressive junge Frau

Wenn die Wut sich entlädt, bleibt nur noch die innere Leere – Teil 1

Gastbeitrag von Friederike Wendlandt • lebenaufumwegenzum Buch

Lisas Geschichte über Depression, Borderline und PTBS.

Es ist schwierig, für Lisas Geschichte (Name geändert) einen Anfang zu finden. Sie ist 17 Jahre alt, aber nach dem, was sie schon alles erlebt hat, würde man erst einmal nicht auf die Idee kommen, mit einem so jungen Mädchen zu sprechen.

Was den Beginn ihres Krankheitsverlaufs angeht, so trat dieser ein, als ihr Vater im Jahr 2015 verstarb. Sie litt stark unter dem Verlust einer ihrer wichtigsten Bezugspersonen und wurde depressiv. Zu dieser Zeit war sie gerade einmal 12 Jahre alt. Aber eigentlich wurde ihre Seele schon viel früher verletzt. Aber dazu später mehr.

Ein Jahr darauf, im Jahr 2016, wurde sie aufgrund von Suizidankündigungen das erste Mal in eine Klinik eingewiesen. „Es war schrecklich“, sagt Lisa. „Ich wurde auf einem Bett fixiert, isoliert und bekam Zwangsmedikation – das letzte Mittel, wenn nichts mehr geht.“ Heute sagt sie, dass ihr die Medikamente helfen. Zu dieser Zeit war sie überhaupt nicht krankheitseinsichtig. Da ist es doch nur verständlich, dass sie nicht verstehen konnte, warum sie irgendwelche Medikamente schlucken sollte, oder?

Obwohl man Persönlichkeitsstörungen, wie die bei ihr diagnostizierte Borderline Persönlichkeitsstörung eigentlich nicht sicher diagnostizieren kann, sprachen viele Symptome dafür. Bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere in der Pubertät, ist die Persönlichkeit noch nicht vollständig entwickelt, sodass die Diagnose nur eingeschränkt möglich ist.

Sie verletzte sich selbst, litt unter einer mittelgradigen Depression und wurde daraufhin immer wieder suizidal. Infolgedessen kam sie zur Inobhutnahme in drei verschiedene Wohngruppen, aus denen sie immer wieder für ein bis drei Tage in die geschlossene Psychiatrie zur Krisenintervention eingewiesen wurde. Hier wurde sie vor sich selbst und andere vor ihren Aggressionen geschützt, die mit der Borderline Persönlichkeitsstörung einher gehen. Das ist das Hauptziel der geschlossenen Psychiatrie. Anders als in anderen Kliniken gibt es hier nicht das übliche Therapieangebot, wie zum Beispiel die Musik-, Kunst- oder Ergotherapie.

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Obwohl Lisa sagt, dass sie Angst vor dem Tod hat, vor allem dann irgendwo alleine zu sein oder an einen Ort zu kommen, an dem es ihr nicht gut geht – vielleicht in die Hölle, obwohl sie nicht an Gott glaubt – und eventuell ihren Vater zu treffen, der dann enttäuscht von ihr ist, legt sie ein Hochrisikoverhalten an den Tag – wie so viele Menschen mit der Borderline Persönlichkeitsstörung. Die Impulsivität ihres Handelns zeichnet sich zum Beispiel durch Substanzmissbrauch, Essanfälle oder Diebstahl aus. Einige setzen sich auf Bahngleise und warten auf einen Zug und umso intensiver all diese Erfahrungen ausgelebt werden, desto „besser“, so scheint es.

In den seltensten Fällen will Lisa wirklich sterben, wenn sie sich auf die Straße legt und wartet, bis ein Auto kommt. Meistens sucht sie sich selbst Hilfe, wenn sie eine Überdosis Medikamente genommen oder zu viel Alkohol getrunken hat.

In Kliniken sollen suizidale Patienten meistens einen vom Arzt verfassten Antisuizidvertrag unterschreiben, durch den sie versprechen, sich nichts anzutun. Manche Patienten fühlen sich durch solche Verträge unterstützt. Lisa sagt, dass ihr das gar nichts bringt. Sie handelt impulsiv und da stört sie es auch nicht, wenn sie einen solchen Vertrag vorher unterschrieben hat.

Es ist beeindruckend zu hören, dass ein Mensch, der so tief in einer Krise zu stecken scheint, so reflektiert über sein Verhalten sprechen kann. Lisa sagt, dass sie das in einer Wohngruppe gelernt hat. Vor allem sogenannte Verhaltensanalysen helfen ihr, sich anders zu verhalten, wenn sie noch einmal in ähnliche Situationen gerät. Bei diesen schreibt sie auf, was zu dem selbstschädigenden Verhalten geführt hat, was genau passiert ist und was sie hätte anders machen können. Auch ohne therapeutische Unterstützung wendet sie dieses Prinzip eigenständig an. Sie sagt, dass es natürlich nervig und anstrengend ist, das alles aufzuschreiben, weil man nicht darüber nachdenken will. Schlussendlich hilft es ihr aber und deswegen tut sie es auch.

Aufgrund eines Jobangebots ihrer Mutter zog sie nach einem weiteren sechsmonatigen Klinikaufenthalt mit ihr und ihren Geschwistern um, in eine andere Stadt. Auch hier wurde sie erst einmal wieder aufgrund von starker Selbst- und Fremdgefährdung in einer Klinik aufgenommen. Zuletzt hat sie mit Gegenständen geworfen und eine Heizung aus der Wand gerissen, da die Anspannung in ihr überzukochen drohte. Ein weiteres Mal wurde sie gegen ihren Willen fixiert und bekam Zwangsmedikation zur Beruhigung und gegen die Depressionen, sogenannte Antidepressiva.

Mittlerweile hatte sie die Schule schon ein ganzes Jahr lang nicht mehr besucht. Normalerweise können jugendliche Patienten die Klinikschule besuchen, allerdings kam das für sie nicht in Frage, da sie die Station nicht verlassen durfte.

Du möchtest wissen, wie Lisa sich zurück ins Leben kämpft? Teil 2 des Beitrags erscheint am 04.04.19

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