
Meine Depression & Ich
Das Wort Depression hat einen inflationären Charakter. Alles und jeder ist depressiv. Das Wort geht im Zusammenhang mit schlechter Laune und negativer Einstellung schnell über die Lippen. Gleichzeitig steigt die Zahl der diagnostizierten Depressionen.
Das Image der Depression
Die Depression ist überall. Ein Grundrauschen macht sich breit. Sie ist da, wird aber trotzdem belächelt. Denn etwas, das ständig da ist, wird irgendwann zur Normalität, ausgeblendet, ignoriert, nicht ernst genommen oder sogar mit ihr gespielt. Viele Menschen, die an einer Depression leiden, würden niemals darüber sprechen und die, die mit ihr spielen, machen sie zu einem Schauspiel. So entsteht ein völlig falsches Bild von dieser Krankheit.
Gleichzeitig wird Depression zu einem Schimpfwort. In der Gesellschaft nicht anerkannt. Menschen, die unter Depressionen leiden, gehören nicht mehr dazu, jammern rum und gehen nicht arbeiten. Sie funktionieren nicht. Sie sind krank, aber irgendwie doch gesund. Sie hatten keinen Autounfall. „Kerngesund und trotzdem heulen sie rum“, hörte ich die Leute flüstern. Die Wunden der Depression sind unsichtbar. Von wenigen verstanden. Nicht einmal vom Betroffenen selbst. Und noch weniger akzeptiert.
Die Maske sitzt
Ich tat alles dafür, meine Depression zu decken. Sie war ein Teil von mir. Ein Charakterzug, ein schleichender Prozess. Also nahm ich an, ich bin meine Depression. Selbst ein Jahr nach meiner Diagnose konnte ich nicht „zugeben“, dass ich unter dieser Krankheit leide. Wie konnten meine Charakterzüge eine Krankheit sein? Wie konnte mein Alltag irgendwann heilen? Mir ging es schlecht, aber das sollen meine Gedanken getan haben? Das wiederum wollte mir nicht in den Kopf. Also beschloss ich, weiterzumachen wie bisher. Ich zwang mich in mein Alltagskorsett und ging Tag ein Tag aus auf die Bühne, lieferte meine fucking Show ab, bis ich hinfiel. Und dann wurde meine Krankheit körperlich.
Ich verdrängte jegliche Warnsignale meines Körpers, weil ich in ein Alltagsmodell passen wollte, welches nicht zu mir passte. Ich unterdrückte meine Bedürfnisse. Zu dieser Zeit kannte ich nicht einmal den Unterschied zwischen Bedürfnissen und Wünschen. Ich wusste nicht, dass jeder von uns einen anderen Lebensrhythmus hat – und haben darf. Für mich gab es nur einen Rhythmus: die 40 Stunden Woche mit einem fetten Plus. Ich wollte in das Nine-to-Five-Modell passen, um jeden Preis. Ich kannte nur dieses eine Modell und machte meinen Wert von meiner Leistung abhängig – je mehr Leistung, desto wertvoller bin ich. Ökonomisch richtig – psychologisch krank. Also kämpfte ich gegen Windmühlen und schluckte den Schmerz. Ich dachte: „Da muss jeder durch und ich ertrage das schon irgendwie. Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“
Das Sensibelchen
Der kleine Indianer in mir hatte gelernt, den Schmerz zu ertragen. Ich war ein sensibles Kind, wurde schnell rot und nahm die Welt um mich intensiv wahr. Ich war ein empathisches Sensibelchen. Ups… ein weiteres Schimpfwort! Sensible Kinder sind zurückhaltend und eher introvertiert, aber kreativ und querdenkend. In der Schule kam das leider nicht gut an. Entweder habe ich die Schnauze gehalten, weil ich mich nicht getraut habe oder ich habe mit meinen kreativen Lösungen mal wieder nicht den einen richtigen Lösungsansatz eingehalten. Ich habe von klein auf gelernt, gegen mich zu arbeiten.
Glaubenssätze
Langsam aber sicher entwickelte ich Glaubenssätze, die gegen mich waren. Kleine Stimmen in meinem Kopf quasselten ununterbrochen: „Du bist nicht gut genug", „Das kannst du nicht“, „Lass die anderen das machen“, „Es wird nie einfach für dich sein“, „Eigentlich brauchst du das gar nicht erst versuchen“. Die Gehirnwäsche funktionierte und dann fing ich an, selbst daran zu glauben und kämpfte fortan gegen meine inneren Stimmen. Ich fing an, überdurchschnittlich in das System passen zu wollen. In das eine System, von dem ich ausging, dass es das richtige sei.
Das Ende war mein Anfang
Ich arbeitete gegen meine Natur bis mein Körper, meine „Maschine“ auseinanderfiel. Und da begann der wohl wichtigste Teil in meinem Leben. Ich fing an zu begreifen. Heute sehe ich meine Depression als schmerzvolles Geschenk. Auf einer spirituellen Ebene hat die Depression mir die Augen geöffnet. Sie ist ein Teil von mir und wird nie ganz verschwinden, aber heute nutze ich sie als Frühwarnsystem. Sobald ich ein wenig vom Weg abgekommen bin, schickt mir die Bitch 'ne Sprachnachricht und zieht mich aus dem Game. Ich darf dann nicht über LOS und muss eine Runde aussetzen. Ich bin in dieser dunklen Zeit durch die Hölle gegangen, habe aber gleichzeitig so viele Dinge über mich gelernt, die mir ohne Madame Depressiona womöglich verschlossen geblieben wären. Ich habe gelernt, dass es unnötig ist, immer mit dem Strom zu schwimmen und sehr wohl erlaubt ist, auch mal dagegen zu sein. Ich habe meine Grenzen und meinen Körper kennengelernt und erkenne meine Bedürfnisse an Körpersignalen. Heute weiß ich, dass wir nicht unsere Gedanken sind und uns nicht verbiegen müssen. Es gibt unendlich viele Lebensmodelle und wir können uns eines aussuchen, welches am besten zu uns passt. Wir können und dürfen unser Leben gestalten und müssen es nicht ertragen. Wir sind kreative Lebensgestalter und nicht von außen bestimmt. Wenn wir uns bestimmen lassen, ist es kein Wunder, dass die Zahl der Depressionen zunimmt und unsere gefühlte Lebensqualität und die Erfahrung von Glück abnimmt. Wir dürfen unser Glück selbst in die Hand nehmen und es ist sogar wichtig, sensibel und kreativ sein. Auch, wenn wir dann nicht mehr in das System passen. Kreativität ist Fortschritt. Anpassung ist Stagnation und Stillstand macht depressiv. PEACE.