Kronkorken

Alkohol löst eben doch keine Probleme - Die Geschichte eines Suchtkranken

Gastbeitrag von Friederike Wendlandt • lebenaufumwegenzum Buch "Leben auf Umwegen"

Alkohol kann eine ganze Menge: Familien, Beziehungen und Freundschaften zerrütten, Arbeitsverhältnisse auflösen, den Kontostand zurück auf Null setzen und den Körper zerstören, aber eins kann er nicht – Probleme lösen. Zu schade, dass Alexander das nicht wusste, als er 16 oder 17 Jahre alt war und mit dem Trinken begann, obwohl „schade“ wohl das falsche Wort dafür ist.

Wenn der Alkohol beginnt, als ein Lösungsmittel für sämtliche Probleme zu fungieren, die Schmerzen zu lindern, die ihm sein Vater zugefügt hat, hört er auf, ein Genussmittel zu sein. Die Frage, ob ihm Alkohol schmeckt, beantwortet er ganz natürlich mit „Nein“, nicht, weil er ihm nicht schmeckt, sondern weil es um den Geschmack schon lange nicht mehr geht – schon seit über 10 Jahren nicht mehr.

Der Alkohol hat ihn stark gemacht, sagt er. Er hat ihm den Mut gegeben, sich zu Wort zu melden, seinem Vater Kontra zu geben. Wenn er zu viel trinkt, wird er depressiv und schreibt Nachrichten, die er im Nachhinein bereut – und an die er sich manchmal nicht mal mehr erinnern kann. Der typische Filmriss eben. Was passiert? Das soziale Umfeld fängt an zu bröckeln. Was bleibt ist das Unverständnis dem Betroffenen gegenüber. Wer hinterfragt das? Der Kater am Tag danach hält ihn nicht vom Trinken ab. Dann verlangt der Körper wieder nach Alkohol und den gibt Alexander ihm.

Während dieser 10 Jahre gab es auch trockene Phasen, aber private Erlebnisse haben ihn immer wieder zurückgeworfen – zurück in die Alkoholsucht. Er trinkt ungefähr sechs Bier am Tag. Zu hartem Alkohol hat er nur selten gegriffen.

Heute ist er schon 10 Tage trocken. Er will raus aus der Sucht, ist arbeitssuchend, wünscht sich eine Familie und Kinder. Um es ganz einfach zu sagen, er will sein Leben zurück! Und genau das wünscht er nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen, die mit diesem Problem zu kämpfen haben. Und es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kampf!

Besonders die ersten ein bis zwei Tage sind kaum zu ertragen für ihn und so viele andere, die versuchen, dem Alkohol den Rücken zuzukehren. Es überfallen ihn Panikattacken. Er hat Angst zu sterben. Sein Körper braucht Alkohol. Aber diese Angst ist nicht ganz unberechtigt. Ein kalter Entzug kann tödlich enden.

Trotzdem tut er es, empfiehlt es aber nicht. Ein kalter Entzug ist nicht für jeden was, sagt er. In den ersten Tagen bleibt er zuhause. Da hat er mehr Ruhe. Wenn er unterwegs ist, vor allem im Bus, ist es am schlimmsten. Er steigert sich dann immer mehr in den Gedanken rein, jetzt sterben zu müssen. Zuhause hat er die Möglichkeit, an den Kühlschrank zu gehen und sich schnell den erlösenden Tropfen zu geben. Im Bus ist er eingesperrt. Nachts zockt er, um sich abzulenken. Tagsüber hat man immer noch die Möglichkeit jemanden anzurufen, um um Unterstützung zu bitten. Nachts kann man zwar immer noch den Notarzt rufen, aber auch das will er nicht. Eine Bekannte vom ihm kennt seine Geschichte und auch sie hat ihm ihre Unterstützung angeboten. Das gibt ihm viel, aber auch die möchte er nicht annehmen.

Die Rückfälle, die ihn nun seit vielen Jahren begleiten, treten vor allem auf, wenn er in sein altes Umfeld zurückkehrt – zu seiner Familie – eine schwierige Angelegenheit. Er leidet darunter, dass seine Sucht so viel in seinem Leben kaputt gemacht hat. Seitdem lebt er in einer anderen Stadt und übernimmt die Verantwortung für sich. Man kann selbst entscheiden, welchen Weg man geht, meint er. Starke Worte für jemanden mit einer Sucht, wo man doch meint, dass das nicht so einfach geht.

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Wenn er anderen Betroffenen, die trocken werden wollen, etwas raten müsste, würde er zuerst fragen, warum derjenige trinkt und was der ursprüngliche Auslöser war. Oft sei der Grund die Vermeidung von Gefühlen und Emotionen. Man verabschiedet sich mit dem Kopf aus der Welt. Er bereut es, wie viel Zeit er durch den „Suff“ verloren hat und wie sehr er sich zu dieser Zeit menschlich verändert hat. Vor allem durch die äußeren Veränderungen hat er gemerkt, dass er etwas tun muss. Es gab immer mehr Stress auf der Arbeit aber auch in seinem Umfeld. Das hat ihn nachdenklich gestimmt und ihn letzten Endes dazu gebracht, sich für das Leben und nicht für einen frühzeitigen Tod zu entscheiden. Aber auch er kennt den Gedanken, sich einfach zu den anderen „Pennern“ zu setzen und nicht mehr gegen die Sucht anzukämpfen.

Das Schlimme ist, dass der Alkohol überall in greifbarer Nähe ist, sagt er, bei der Tankstelle und in Spätshops, die 24 Stunden an sieben Tagen der Woche geöffnet sind. All das sind Triggerpunkte für ihn. Die Lust nach einem kalten Bier im Sommer oder nach einem heißen Glühwein in der Weihnachtszeit und der Sucht kann er nicht trennen. Für ihn fühlt sich das gleich an und wenn er anfängt, bleibt es nicht bei einer Flasche. Es werden immer mehr. Er kann nicht aufhören, ebenso wenig wie viele andere Betroffene.

Die Sucht hat sich in seinen Alltag integriert. Er hat eine gewisse Struktur aufgebaut, die es ihm erlaubt, seinen Pegel dauerhaft zu halten. Er hat versucht, die Sucht geheimzuhalten. Man findet immer Wege zu trinken, sagt er. Die Alkoholtoleranz steigt und deswegen hat auch an seinem Arbeitsplatz nie jemand etwas davon bemerkt. Dort hat er meistens heimlich Kurze getrunken und danach schnell einen Riegel und einen Kaugummi gegessen, um den Geruch zu übertünchen. Eigentlich geht er offen damit um. Auch seine Freunde wissen von seinem Problem. Trinken tut er aber trotzdem nicht vor ihnen. Vor Verabredungen treibt er seinen Alkoholpegel in die Höhe und packt sich Kurze ein, die man gut in die Jackentasche stecken kann. Die trinkt er wiederum heimlich auf der Toilette. Er weiß, wo und wann er seinen Alkohol bekommen kann. Alles ist geplant. Nichts wird dem Zufall überlassen.

Nun ist er gerade trocken, hat aber immer den Notfall-Flachmann mit dabei. Er ist entschlossen, den Alkohol hinter sich zu lassen und geht reflektiert mit dem Thema um. Er ärgert sich darüber, wenn Menschen sich am Wochenende nach einer schlechten Woche die Kante geben und die Industrie davon lebt. Aber kann man sie dafür verantwortlich machen? Vielleicht muss man auch selber wirklich mal so richtig auf die Schnauze fliegen, bis man begreift, was man sich und seinem Körper damit antut, bis es einem besser geht. Nun ist er 29 Jahre alt und sagt, dass er sich langsam mal entscheiden muss, was er will, bevor es zu spät ist. Jahr für Jahr wird es schwieriger aufzuhören. Der Alkohol zerstört ihn und das will er nicht. Er spürt, dass er körperlich und geistig viel fitter ist, wenn er nicht trinkt, obwohl der Körper ein gutes halbes Jahr braucht, um sich richtig zu regenerieren. Mit 20 Jahren dachte er noch, dass das einfach eine wilde Zeit sei, aus der heute aber eine Abhängigkeit geworden ist, gegen die er mit aller Kraft kämpft. Er hat sich ein Ziel gesetzt, was er mit all seinen Stärken und Schwächen erreichen möchte. Genau das wünscht er auch allen anderen: sich zu überlegen, wo man wirklich hin will. Und los!

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